Dienstag, 15. März 2011

90 min. live

"90 min. live" präsentiert eine Ausstellung im Format einer Performance. Der Ausstellungsraum Selfservice, der für sein ambitioniertes Programm mit jungen KünstlerInnen bekannt ist, öffnet sich für einen Abend für eine vielfältige und ungewöhnliche Präsentation. Neben Projekten aus dem Bereich der bildenden Kunst werden gleichberechtigt Angebote aus anderen kreativen Branchen vorgestellt, darunter eine professionelle Fotografin, ein Kosmetikstudio und ein Bräunungssystem. Im Stile einer Messe werden die unterschiedlichen Beiträge durch eine Moderation in eine Choreografie gebracht, in der kommerzielle und künstlerische Projekte ineinander übergehen und ihre Grenzen verschwimmen. Die Präsentation wird aufgezeichnet und anschließend als Film veröffentlicht.
Seit der Moderne ist die Ausstellung die wichtigste Form, in der wir Kunst wahrnehmen. Damit steht nicht mehr ihre individuelle Kontemplation, sondern vielmehr ihr öffentlicher Gebrauch im Vordergrund. Die Ausstellung ist jedoch, wie bereits Walter Benjamin in seinem Kunstwerk-Aufsatz unterstrich, kein originäres Medium der Kunst, sondern sie begegnet hier anderen Wahrnehmungsformen, vor allem aus dem Bereich der Warenpräsentation und dem Kommerz. "90 min. live" greift diese Schnittstelle auf und verdichtet sie performativ in einer Art unvermittelten Begegnung. Die Interessen an der Präsentation mögen andere sein, sie teilen jedoch ihre Vermittlungsstrategien und einige ästhetische Vorlieben.
Die Einbindung kommerzieller Präsentationsverfahren in den Bereich der Kunst erinnert an künstlerische Ansätze aus den 1980er Jahren, etwa an Jeff Koons' oder Haim Steinbachs Skulpturen aus übernommenen oder verfremdeten Objekten aus der alltäglichen Warenwelt. Eine andere Referenz könnte in Guillaume Bijls hyperrealistischen Szenarien liegen, wie seinem in aller Detailtreue nachgebauten Supermarkt in einem Museum. Anders als diese Projekte setzt "90 min. live" jedoch nicht nur auf eine Aneignung kommerzieller Codes in künstlerischen Arbeiten, sondern legt es auf eine unvermittelte Begegnung an, in der die kommerziellen Beiträge ebenso vom künstlerischen Rahmen der Präsentation profitieren, etwa um neue potentielle Kunden anzusprechen. Die Kriterien für die Beurteilung des Abends werden sich erst während des Abends herausstellen.
Text  Axel Wieder








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